10. - 12. Mai 2023: „Migration after the invasion of Ukraine: Attitudes and Policies in Europe” Workshop mit dem Migration Policy Centre (MPC) des European University Institute (EUI) in Florenz

Zusammen mit dem Migration Policy Centre (MPC) des European University Institute (EUI) in Florenz organisierte das Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) am 11. und 12. Mai 2023 einen hybriden Workshop zum Thema „Migration after the invasion of Ukraine: attitudes and policies in Europe”. In zahlreichen Panels diskutierten die WissenschaftlerInnen in der Villa Schifanoia des EUI über die jüngste Migrationspolitik innerhalb und außerhalb der EU.

Durch den russischen Einmarsch in die Ukraine wurden allein 2022 mehr als 8 Millionen Menschen aus der Ukraine vertrieben. Vor allem Länder in Ostmitteleuropa, die keine klassischen Einwanderungsländer sind und wenig Erfahrung mit der Aufnahme von Geflüchtete gemacht haben, nahmen eine noch nie dagewesene Zahl von Geflüchteten auf. Vor diesem Hintergrund befasste sich die Veranstaltung mit der Migrationspolitik jenseits der „traditionellen“ Zielländer und den Reaktionen und Einschätzungen der Gesellschaft darauf.

 

11. Mai

Nach einer Begrüßung durch Andrew Geddes, Direktor des Migration Policy Centre, startete das erste Panel mit dem Titel „Attitudes towards Ukrainian refugees and in comparative perspective“.

Lenka Dražanová (Migration Policy Centre, EUI) präsentierte unveröffentlichte Ergebnisse einer neuen Umfrage zu Einstellungen gegenüber ukrainischen Geflüchteten in Europa. Dabei wurde deutlich, dass die Aufnahmebereitschaft der westeuropäischen Länder und der an die Ukraine angrenzenden Staaten wesentlich ausgeprägter ist, als dies 2015/2016 noch der Fall war. Die Wahrnehmung Russlands als Bedrohung führte vor allem in den ostmitteleuropäischen Ländern zu einer positiveren Einstellung gegenüber Geflüchteten.

Daniel Drewski von der Universität Bamberg untersuchte die politische Debatte zur Aufnahme von Flüchtlingen und ihrer unterschiedlichen Behandlung je nach Herkunftsland. Dabei verglich er die Diskussionen in Deutschland und Polen während der syrischen „Flüchtlingskrise“ von 2015/16 mit den Debatten über ukrainische Geflüchtete während des Krieges 2022. Seine Erkenntnis: Die nationale Identität eines Landes ist entscheidend für die Auslegung der Asylpolitik. In Deutschland überwiegen kosmopolitische Konzepte, die auf humanitären Werten basieren und somit sowohl syrischen als auch ukrainischen Geflüchteten offen gegenüberstehen. In Polen hingegen stehen eher kommunitaristische Konzepte im Vordergrund, wie die Betonung kultureller Homogenität. Dies führt zu einer distanzierten Haltung gegenüber syrischen Geflüchteten, jedoch einer offenen Asylpolitik für ukrainische Geflüchtete. Die nationale Identität prägt somit die jeweilige Vorgehensweise in der Asylfrage.

Im zweiten Panel wurde das Thema „Migration and Polarization in Europe“näher beleuchtet. Hierbei stellte das MIDEM-Team um Maik Herold, Janine Joachim und Cyrill Otteni die zentralen Ergebnisse ihrer in zehn europäischen Ländern durchgeführten Umfrage vor, die sich mit gesellschaftlichen Spaltungstendenzen in Europa jenseits von Parteigrenzen befasst. Dabei wurde insbesondere die Rolle der Migration, welches gemeinsam mit Klimawandel als besonders polarisierendes Thema innerhalb europäischer Gesellschaften gilt.

Anne Sofie Cornelius Nielsen (European University Institute) gab Einblicke in ihre derzeitige Forschung, die sich mit der Nutzung sozialer Medien zum Thema Einwanderung befasst. Ihre Stimmungs-Analyse basiert auf Daten aus Dänemark und Schweden und untersucht, wie die Einstellungen durch politische Kommunikation auf Facebook und Instagram beeinflusst werden. Dabei fand sie heraus, dass die Invasion der Ukraine die Art und Weise, wie schwedische und dänische Politiker:innen in sozialen Medien über Migration kommunizieren, veränderte.

Anschließend fassten Kristina Chmelar (MIDEM) und Marta Kozłowska (MIDEM) die Ergebnisse ihrer Forschung „Czechs and Poles vis-a-vis Ukrainian Refugees: New Attitudes on Immigration?“ zum derzeitigen Migrationsdiskurs in Tschechien und Polen zusammen. Dazu verglichen sie die Einstellungen zu Migration während der sog. „Flüchtlingskrise“ 2015/26 und während der russischen Invasion der Ukraine 2022/2023. Dazu zeigten sie, dass In Tschechien die Menschen hochgradig polarisiert sind und eine hohe Sympathie für restriktivere Migrationspolitik herrscht, während die Menschen in Polen vergleichsweise weniger Präferenz für restriktivere Asylpolitik haben. Des Weiteren zeigten sie auf, wie sich die Aufnahmebereitschaft von Flüchtlingen gegenüber 2015 verändert hat.

 

12. Mai

Am zweiten Tag des Workshops eröffneten Martin Ruhs (Migration Policy Centre, EUI), Mariana Mendes (MIDEM) und Giovanni de Ghantuz Cubbe (MIDEM) das erste Panel zu „Policies and public preferences towards (irregular) migration”.

Martin Ruhs konzentrierte sich in seinem Vortrag „Public preferences for Europe-Africa cooperation on irregular migration“ auf fünf Kernbereiche der angestrebten Zusammenarbeit der EU mit Afrika. Diese umfassen unter anderem finanzielle Unterstützung, um die Migration nach Europa zu reduzieren, Grenzkontrollen, legale bürokratische Wege, um nach Europa zu migrieren und Schutz der Rechte von Migranten entlang der Fluchtrouten. In seiner Kernforschung fokussiert er sich auf die Fragen, inwieweit Staatsangehörige eine Einstellung zu internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Migration haben, was ihre Beweggründe sind und welche politischen Dimensionen die öffentliche Unterstützung für Migrationszusammenarbeit am stärksten prägen.

Mariana S. Mendes (MIDEM) gab einen Einblick in die Entwicklung der Migrationspolitik in Europa seit 2015 und untersuchte die Frage, ob sie sich in eine restriktivere Richtung entwickelt hätten. Dazu verglich sie aus mehreren Datensätzen die Beschränkungen der Migrationspolitiken in Ländern zwischen den Jahren 1945 und 2019. Sie folgerte, dass die Kluft zwischen Diskurs und Politik zwar größer geworden zu sein scheint, aber trotz zunehmender Politisierung keine offensichtlich restriktive Wende in der Migrationspolitik stattgefunden habe.

Im Anschluss präsentierte Giovanni de Ghantuz Cubbe (MIDEM) die Ergebnisse seines Projektes „Migration and the Italian radical right“ über die Kommunikationsstrategien der italienischen radikalen Rechten zum Thema Migration. Dazu verglich er in der quantitativen Analyse die Facebook-Posts der rechtsradikalen Parteien Fratelli d’Italia und Lega. In der qualitativen Analyse konzentrierte er sich auf die Inhalte der Wahlkampagnen und untersuchte, inwiefern sich die radikalen Inhalte seit dem Amtsantritt Melonis im September 2022 verändert haben.

Im zweiten Panel „Irregular migration and health care“ präsentierte Lorenzo Piccoli (Migration Policy Centre, EUI) sein Paper. Dabei untersuchte er die gesundheitliche Unterstützung von irregulären Migranten durch Menschenrechtsorganisationen und die Konflikte, mit denen sie konfrontiert sind. Die Untersuchung konzentrierte sich speziell auf die Länder Italien und Spanien, wo ein großer Anteil der Migranten illegal Zugewanderte sind und das Gesundheitswesen als offizielles Menschenrecht gilt.

Schließlich gaben Felix Hormig (MIDEM), Steven Schäller (MIDEM) und Ender Yilmazel (MIDEM) den Teilnehmenden Einblicke in ihre jeweiligen Forschungsprojekte. Felix Hormig setzt sich mit der Frage auseinander, wie sich der politische Diskurs über Arbeitsmarktintegration und Fachkräfteeinwanderung im Laufe der letzten Jahre verändert hat. Ender Yilmazel analysiert, wie sich die Themen Migration und Integration in den Lehrplänen deutscher Hauptschulen widerspiegeln und vor welchen Herausforderungen Lehrkräfte dabeistehen.  Steven Schäller untersucht das geplante Sächsische Integrations- und Teilhabegesetz und stellt dabei die Rolle von Bürgerbeteiligungsprozessen in den Mittelpunkt.

Der lehrreiche Workshop endete mit einem Networking-Empfang. Dabei wurde die künftige Zusammenarbeit zwischen MIDEM und MPC ausgelotet.